Mühlenspiegel 43

18 / Klimaschutz im Mühlenbecker Land Während ich am Sonntagvormittag zu r Gratulation einer 90-jährigen Mitbürgerin Richtung Bies elheide unterwegs bin, höre ich wie so oft rbb Inforadio. Ich lie be diesen Infosender, da er mir, als Newsjunkie, die täglichen In fos liefert, die ich als politisierter Mensch privat wie auch beru flich als Bürgermeister und Kommunalpolitiker benötige und wissen sollte und muss. Der Sender fragt nach dem „Warum“ u nd gibt Antworten und Hintergründe. Das liebe ich. Und so hö rte ich während der Fahrt den Podcast „Orte und Worte“ mit der Schriftstellerin Mely Kiyak aus dem Maxim-Gorki-The ater. Sie stellte ihren neuen Roman vor: „Her r Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an“. Das Buch erzählt von einer Vater-Tochter-Beziehung und dem Kampf gegen den Krebs. Aus eigener Betroffenheit 2015 und 2019 bewegte mich die Geschichte sehr und da waren wie der die Bilder in meinem Kopf, als meine kleine Tochter mir die Hand drückte und sagte „Du schaffst das, Papa!“. Ich frag e mich, wie wohl meine Kinder zukünftig leben werden, wenn das Klima um ein paar Grad wärmer geworden ist und die Welt sich somit verändert hat. Mittlerweile leben dann 9,8 Milliar den Menschen auf der Erde und es wird wohl unumgänglich sein, dass Lebensmittel zukünftig aus Algen oder Insekten-Me hl bestehen. Personalisierte Ernährung und die Digitalisieru ng der Medizin erhöhen die Lebenserwartung. Ein Schmunzeln huschte mir bei diesen Gedanken übers Gesicht. Aber: „Typisc h Filippo“ , gleich reflektiere ich diese Gedanken und weitere k ommen mir in den Sinn. So mancher verleugnet heute immer n och die Klimakrise, doch es ist Realität. Der Weltklimarat geht d avon aus, dass sich die Erde bis 2100 sogar um 5 Grad Celsiu s aufheizen könnte. Wetterextreme wie Starkniederschläge od er Hitzewellen werden infolge dessen verstärkt auftreten. Auc h Überschwemmungen, Verwüstung, Nahrungsmittelknapphe it und Artensterben sind direkte Folgen der globalen Erwärmun g. Außerdem wird der Zugang zu sauberem Trinkwasser immer prekärer. Dadurch werden auch klimabedingte Migration sbewegungen mehr noch als heute zu einer globalen Herau sforderung werden. Der Gedanke bereitet mir Sorge. Nicht aber, wie die Welt diesen Herausforderungen begegnen kann, s ondern die Strategie der Populisten, die heute wie schon vor 500 Jahren Ängste schüren und für eigene Zwecke missbrauchen. Selten waren die Ängste der Menschen größer als heute, denke ich mir. Trotz Wohlstand in Deutschlan d schaut die überwältigende Mehrheit mit großem Pessimismus in die Zukunft. Sicherlich, manche dieser Sorgen sind berec htigt. Andere jedoch sind irrational und sehr fiktiv. Während der Fahrt huscht ein blau ge haltenes Plakat an mir vorbei und mir kommt der Gedanke, d ass von so manchem in Politik, Wirtschaft und Medien diese Angst bewusst geschürt und als Instrument der Macht missbra ucht wird. Ängstliche Menschen lassen sich bekanntlich leich ter manipulieren. Die Konsequenzen dieser Instrumenta lisierung von Ängsten sind aus meiner Lebenserfahrung her aus katastrophal. Sie führt zu einer Polarisierung der Gesell schaft, die unüberbrückbare Differenzen aufbaut und somit Ko mpromisse und Lösungen immer schwieriger macht. Und so überlagern sich meine Gedank en. Was muss erst an persönlichen Schicksalsschlägen pass ieren, damit wir die Welt mehr „mit Draufsicht“ und nicht, gesch ürt durch Populisten, „mit Scheuklappen“ betrachten? Ich bin überzeugt: Es gilt, die Populiste n zu entlarven und konstruktive Lösungen und soziale Ak zeptanz für die dringend benötigte Modernisierung von Wirtsch aft und Gesellschaft zu finden. Aufklärung und Vertrauen zu s chaffen, sind schwierige Herausforderungen, aber sie sind uns ere einzige Chance, die multiplen Krisen unserer Zeit zu bewä ltigen. Im Radio spricht Mely Kiyak bereits üb er das sich aktuell in aller Munde befindliche und von ihr gesc hriebene Buch „Werden sie uns mit dem FlixBus deportieren“? Was für ein Zusammenhang, denke ich mir. Erst spricht sie üb er Schicksalsschläge und dann über Rechtsextremismus un d rechter Radikalisierung, über dessen Ursachen und dere n Folgen. Was für ein interessanter Podcast. Lassen Sie mich an dieser Stelle Mely Kiyak zitieren. Sie sagt: „Die große Kunst besteht eigentlich nur darin, hinzuhören. Ich habe mir jedes Wort der Populisten au s ihren Reden aufgeschrieben und im Theater 1:1 vorgetra gen. Die Theatergäste bekamen Angst, obwohl ich nichts hinz u- oder dramatisiert habe. Wenn man weiß, was Rechtsextremismus beinhaltet, und allen Menschen, die politisch gebildet s ind, ist das klar, weiß man: Das sind keine Provokationen. Di e machen Ernst!“ Ich frage mich, wie meine Kinder wohl 2050 leben werden. Und was wir bis dahin unternehmen, u m die Extreme zu minimieren oder zu verhindern. Es ist eine Sache der Einsicht und ich hoffe mir sehr, dass diese Einsicht f ür uns alle auf diesem Planeten nicht zu spät kommt. Noch kö nnen Fehlgedanken durch Aufklärung korrigiert werden. Mit diesem Gedanken „Hopfen und Malz ist noch nicht verlor en“ steige ich aus dem Auto und gehe zum 90. Geburtstag. „War schon allerhand, was ich in mein em langen Leben erlebt habe“ , sagte mir die Jubilarin und wäh rend unserer Unterhaltung wurden mir so viele Fragen, die mir zuvor im Auto in den Sinn kamen, beantwortet: Was ist das Wesentliche? Was ist wirklich wichtig? Wofür lebst Du? Was nimmst du mit, wenn du stirbst? Neid, Unzufriedenheit und Has s waren es nicht! Und so fuhr ich nach einer intensiven un d hoch interessanten Begegnung – wie so oft, wenn ich zum 90 . Geburtstag gehe – mit Demut vor diesen Lebenserkenntnissen und Weisheiten nach Hause. Bleiben Sie zuversichtlich. Ihr Bürgermeister Gedanken an einem Sonntagvormittag WIR LEBEN INTERNATIONAL WIR SIND SOZIAL WIR LEBEN FREIHEIT WIR LIEBEN VIELFALT

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