Mühlenspiegel 35

18 / Sterben ist nichts für Feiglinge Dieser Weg wird kein leichter s in ... D ie Tür knarrt, wenn ich sie öffne. Ich trete ein, alles scheint wie immer. Im Wohnzimmer steht der Sessel, auf dem Tisch liegt ihre Brille, die Weihnachts- kakteen im Fenster setzen gerade die Blüten an. Ich rufe zur Wohnzimmertür hinein: „Hallo Inge“ ... wie immer … aber niemand antwortet. Denn Inge ist diesen Sommer ver- storben. 86 Jahre alt ist sie geworden, mehr als 50 davon hat sie in diesem, ihrem Haus gelebt. Und hier, so war es ihr Wunsch, hier ist sie auch gestorben. Am Ende ging alles sehr schnell: Kran- kenhaus, geriatrische Reha, austherapiert, Entlassung. Aber wohin? Ein Pflegeheim war keine Alternative. Zurück nach Hause? Ja gern, aber wie? Die „Rettung“ waren die Palliativschwestern Melanie und Tanja vom Palliativteam HumanitAir aus Schildow – eine Spezialisierte Ambulante Palliativver- sorgung, kurz SAPV. Diese wird, das wissen viele nicht, sogar von der Krankenkasse bezahlt, vor- ausgesetzt man erfüllt die Kriterien (siehe Infokasten) und bekommt eine ärztliche Verordnung. Ein geschützter Raum Das lateinische Wort „pallium“ bedeutet übersetzt soviel wie „(Schutz-)Mantel“. In diesem Sinne zielt die Palliativmedizin nicht darauf ab, Krankheiten zu heilen. Vielmehr geht es darum, für unheilbar kranke Men- schen einen geschützten Raum zu schaffen. Patienten, die keine Hoffnung mehr auf Ge- nesung haben, benötigen in der letzten Le- bensphase ganz besondere Unterstützung um eine hohe Lebensqualität, Selbstständig- keit und Zufriedenheit so lange wie möglich erhalten zu können. Auch wenn der Krank- heitsverlauf nicht mehr aufzuhalten ist, sol- len die damit verbundenen Leiden gelindert werden. Denn es geht um mehr als nur Wa- schen und ins Bett legen: Bei der Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden steht Fürsorge und würdevolle Begleitung bis zum Lebensende an erster Stelle. Melanie und Tanja Wir hatten die Verordnung aus dem Kran- kenhaus, ein kurzer Anruf und die Zwil- lingsschwestern Melanie und Tanja von HumanitAir kamen noch am selben Tag bei uns vorbei. Als erstes lernten wir: Die Palli- ativschwestern übernehmen nicht die tägli- che Pflege, vielmehr ergänzen sie diese. Das heißt sie beraten, organisieren Hilfsmittel, tauschen sich mit Palliativ- und Hausärzten sowie den Pflegediensten aus, organisieren Rezepte und die Lieferung der Arzneien und Hilfsmittel. Dabei spielt es keine Rolle, ob man noch zu Hause oder im Pflegeheim lebt. „Unser Ziel ist es, den Menschen zu ermög- lichen, gut versorgt in Würde in ihrem ge- wohnten Umfeld sterben zu können“, sagt Tanja Apel. Um einem unheilbar kranken Menschen ein Lebensende in Würde zu ermöglichen, müssen viele Menschen an einem Strang ziehen. „Je mehr wir mitei- nander vernetzt sind, umso größer ist die Sicherheit des Betroffenen und der Ange- hörigen“, berichtet Melanie Behrens. Sie kümmern sich nicht nur um die Patienten, sondern sie beziehen das ganze Umfeld mit ein. Denn ohne die familiäre Unterstützung und/oder die Pflegedienste geht es nicht. Es folgt ein ausgiebiges Aufnahmegespräch und es wird die aktuelle Situation erfasst – später kommt eine Palliativärztin zur Er- stuntersuchung und im SAPV-Team wird dann ein individueller Behandlungsplan erstellt. Besonders wichtig bei ihrer Arbeit ist auch das vorausschauende Planen. So wird zum Beispiel auch immer ein Krisen- plan aufgestellt und im Team sowie mit al- len Beteiligten besprochen. Dazu gehört, dass Notfallmedikamente wie Morphin frühzeitig vor Ort sind und bei Bedarf rasch eingesetzt werden können. Denn oft sind die Angehörigen bei einer Verschlechte- rung verunsichert. Dann melden sie sich bei der 24-Stunden-Rufbereitschaft und die Schwestern beraten oder kommen direkt vobei. Das erspart den Patienten unnötige Untersuchungen oder Krankenhausaufent- halte oder bringt auch schnelle Linderung durch ein von den Palliativmedizinern emp- fohlenes Medikament. Eben alles, was hilft und unterstützt. Die beiden Schwestern nahmen sich Zeit für uns, überlegten, was gebraucht wird, damit Inge zuhause bleiben konnte. Hilfs- Die beiden Zwillingsschwestern Melanie und Tanja von der Spezialisierten Ambu- lanten Palliativversorgung Schildow haben schon viele todkranke Menschen, die in ihren eigenen vier Wänden sterben wollten, auf ihrem letzten Weg begleitet. Tanja Apel mit Yoko Die Schmerzpumpe – alle 3-4 Tage wird sie von den Schwestern aufgefüllt

RkJQdWJsaXNoZXIy NzY5NzY=