Mühlenspiegel 32

20 / Hengstenberg zu mehr Selbstbewusstsein Barfuß Das pädagogische Konzept „Hengstenberg“ lässt Kinder endlich wieder ungehemmt klettern, forschen, spielen. In vielen unserer Kitas wird danach gearbeitet E in Fuß auf die Stange, dann den zweiten Fuß hinterher. Kleine Hän- de klammern sich fest, die Finger- knöchel vor Anstrengung schon weiß. Leon steht ganz oben auf der zwei Meter hohen Spielleiter, dicht unter der Zim- merdecke. In seiner Versunkenheit blen- det der Vierjährige alles um ihn herum aus. Er hört nicht das Geschrei von Ben, der unter ihm Jagd auf die „Krokodile“ Louisa und Noah macht. Auch dass Char- lotte und Lara gleich neben ihm lautstark diskutieren, geht an Leon völlig vorbei. Alle seine Sinne sind auf die schmalen Holzstreben unter seinen nackten Zehen gerichtet. Er runzelt konzentriert die Stirn. Nun kommt der schwierigste Teil: auf die andere Seite gelangen. Erzieherin Ria hat Leon auf der Leiter fest im Blick. Sie strahlt: Noch vor ein paar Wochen hätte sie niemals geglaubt, dass der schüchterne Vierjährige sich je die Leiter hinauf trauen würde. Sie verfolgt jede seiner Bewegungen mit wachsamen Blicken, reicht ihm jedoch nicht die Hand, um ihm wieder herunter zu helfen. Auch das schafft Leon allein. Es dauert zwar eine ganze Weile, aber am Ende ist er so stolz! Den ganzen Tag noch läuft er mit hoch erhobenen Kopf durch die Kita. Und als er sich beim Mittagessen mit anderen unterhält, klingt seine Stimme heute unge- wohnt fest. Leon, Ben, Louisa und die anderen* hatten heute eine Hengstenberg-Spielstunde. Ihre Summter Kita „Koboldhaus“ ist eine von vier Kitas imMühlenbecker Land, die nach diesem Konzept arbeiten. Kinder, Erzieher und Eltern sind begeistert. Begonnen hat alles 2014 in der Zühlsdorfer Kita „Schne- ckenhaus“ und im Schildower „Spatzen- haus“. Bald wurden auch die Kita in Summt und die Schildower „Kita an der Heide- krautbahn“ angesteckt. Als nächste möch- te sich nun bald die Mühlenbecker „Raupe Nimmersatt“ auf diesen Weg begeben. Kinder sollen spielen Das Hengstenberg-Konzept geht zurück auf die Berliner Bewegungspädagogin Elfriede Hengstenberg (1892–1992). Bei ihrer Arbeit stellte sie besorgt fest, wie viele Kinder Haltungsschäden zeigten: Sie waren ungeschickt, zu schlaff oder zu ver- krampft, tobten völlig unkontrolliert herum oder zeigten nur Desinteresse – für Elfriede alles Ausdruck desselben Grundproblems: Als typische Großstadtkinder waren diese Kinder seit dem Säuglingsalter in ihrem ei- genständigen Bewegungsdrang gehemmt worden, durch allzu besorgte Eltern, aber auch schlicht durch ihre Umgebung. Nie- mals konnten sie unbeobachtet herumstro- mern. Bei Problemen standen ihnen stets Erwachsene hilfreich zur Seite. Dabei seien es gerade diese Widerstände, auf die Kin- der im selbstbestimmten, freien Spiel sto- ßen, an denen sie wachsen und die ihnen körperliche „Spannkraft“ verleihen, davon war Elfriede Hengstenberg überzeugt.

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