Mühlenspiegel 31

Ute und Jens Furkert sind aus der Wendezeit in Schildow nicht wegzudenken. Die Kirche – ihre Kirche – war, wie in so vielen Orten zur damaligen Zeit, der einzige Raum, wo man sich noch treffen und sagen konnte, was man dachte. Bei der Erinnerung an das Ende der 80er Jahre in der DDR hat ein Fakt besondere Bedeutung: Landesweit wurden die Kirchen zu Versammlungsräumen für Menschen, die sich trafen, um ihrem politischen Unmut Ausdruck zu verleihen und Forderungen an die Regierung zu stellen. In unseren Grenzgemeinden machte die Glienicker Dorfkirche den Anfang, in der sich der „Konziliare Gesprächskreis“ traf. Schnell sprang der Funke auf Schildow über, wo sich Anfang November, getragen von der evangelischen und der katholischen Gemeinde, der „Ökumenische Gesprächs- kreis“ bildete, der Vertreter neu entstandener politischer Gruppierungen zu seinen „Donnerstagstreffen“ einlud. Befragt man heute langjährige Einwohner nach einem beson- ders prägenden Erlebnis aus diesen Tagen, wird oft – wie jetzt vom Ehepaar Furkert – spontan der 9. November genannt, an dem Ulrike Poppe in der Schildower Dorfkirche zu Gast war. Es ging hoch her an diesem Abend, die Kirche war voll, und es wurde spät. Alle standen noch unter dem zum Teil auch persönlichen Eindruck der Demo vom 4. November auf dem Ber- liner Alexanderplatz. Zum Abschluss sprach Pastorin Hedda Bethge eine Fürbitte, sie gipfelte in dem Gebet nach baldiger Öffnung der Grenze, möglichst in Nähe unserer so dicht neben Westberlin gelegenen Dörfer. Den Besuchern, die sich am Ausgang drängten, um ihre Forderungen auf Unter- schriftslisten zu bekräftigen, gesellte sich ein verspäteter Gast hinzu mit dem lauten Ruf: Die Mauer ist auf!! Es war Andreas Becker. Ute und Jens Furkert, jetzt als Rentner in Glienicke lebend, wohnten seit 1986 in dem neben der Schildower Kirche gele- genen Evangelischen Gemeindehaus. Hier wirkte Ute über drei Jahrzehnte als Katechetin, betreute mit Einsatzbereitschaft und Ideenreichtum Kinder und Jugendliche. In der DDR, wo das Schwergewicht der Jugendpolitik bei Pionier- und FDJ-Grup- pen, Jugendweihe kontra Religionsunterricht lag, ein Spagat, welcher der Kirche auch manche Kompromisse abforderte. An die Stelle des in den Schulen nicht mehr erlaubten Religions- unterrichts trat die Christenlehre, die dann aber sehr eigene Formen entwickelte. Bibelkunde ging hier die Symbiose mit Seelsorge ein, Wissen wurde auf vielfältige Art – per Wort, Lied, Spiel, gemaltem Bild – vermittelt, es war auch Raum für persön- liche Probleme der Kinder. Nach der Wende, als niemand mehr Angst haben musste, seinen Glauben zu bekennen, kann sich so die Christenlehre in unseren ländlichen Gemeinden neben dem wieder eingeführten Religionsunterricht weiterhin be- haupten. Eltern nehmen tätigen Anteil, bringen neue Ideen ein, umso mehr als sich durch den starken Zuzug in den sogenann- ten „Speckgürtel“ unsere Bevölkerung seitdem verändert und verdoppelt hat. Jens Furkert war in der DDR als Chemiker tätig; sein Arbeitsplatz wurde nach der Wende nicht „abgewickelt“, das „Institut für Wirkstoffforschung“ wurde als „Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie“ neu gegründet. Dass er nicht der SED angehörte, hatte bisher seine beruflichen Aufstiegsmöglichkei- ten begrenzt. Nun war er nicht mehr jung genug, noch einmal so richtig durchzustarten. Aber er ist dankbar für viele darauffolgende Jahre einer interessanten Zu- sammenarbeit mit anerkannten Wissenschaftlern. Dafür gehörte er zu den Akti- ven der ersten Stunde, als am 11. Dezember 1989, wiederum in der Schildower Kirche, das Bürgerkomitee Schildow gegrün- det wurde, mit dem Ziel, Einfluss auf die Kommunalpolitik zu nehmen. Er war auch dabei, als zweieinhalb Monate danach, am 26. Februar 1990, die erste Ausga- be des „Bürgerschild“ herauskam. Außer Jens gehörten dem kleinen als eingetragener Verein wirken- den Redaktionsteam damals Pe- tra Wolf, Gisela und Bernd Rose, Volkmar Potyka und Burkhard Miersch an – alles Neulinge, die in ehrenamtlicher Arbeit ihr Bestes gaben, um die Dorfgeschicke von Schildow und Mühlenbeck im Zweiwochen-Rhythmus widerzuspiegeln, was im Lauf von fast zwei Jahrzehnten immer professioneller wurde. „Bürgerschild“ wurde zum Sprachrohr vieler Mitstreiter. Jens blickt gern auf diese Zeit zurück. Ute und Jens Furkert: Christenlehre und „Bürgerschild“ Viele Jahre war Frau Furkert Pastorin der evangelischen Kirche in Schildow. Gern blickt sie auf diese Zeit zurück. 30 Jahre Wiedervereinigung – wir trafen Ute und Jens Furkert / 27 Das Interview führte: Sigrid Moser Fotos: Fotogruppe SichtWeisen, privat Eine Fürbitte, die sich erfüllt hat Jens Furkert zusammen mit Petra Wolf (1990) bei einem Treffen des „Bürgerschildes“

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