Mühlenspiegel 29
braucht der Betroffene, damit seine Lebens- qualität möglichst lange erhalten bleibt? Was wünscht er? Langzeitfolgen sind nicht mehr wesentlich, und der Sterbeprozess soll durch medizinische Sondermaßnahmen nicht künstlich verlängert werden. Die Beratung erfasst relevante Bereiche wie Pa- tientenverfügungen und Vorsorgevollmacht und vor allem Möglichkeiten hinsichtlich der medizinischen, pflegerischen, psycho- sozialen und auch spirituellen Betreuung. Häufig ist nicht bekannt, welche Ansprüche aus der Pflegeversicherung geltend gemacht werden können und welche Leistungen die gesetzliche Krankenkasse bieten. Es geht um Wohnungsreinigung und Kochen, um Körperpflege und spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Vor allem die häusliche medizinische Versorgung im Normal- und Notfall muss sichergestellt und auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt sein. „Es gibt tatsächlich eine große Versorgungsvielfalt, und jeder hat ein Anrecht auf diese Hilfe“, so Jacqueline Werk. „Niemand muss das alleine stemmen.“ Je besser diese Unterstüt- zung greift, je mehr Zeit und Kraft haben die Pflegenden für die wirklich wichtigen Momente mit ihrem Angehöri- gen in dessen verbleibender Lebenszeit. Mit Verständnis und Gelassenheit Nach dem Erstgespräch wird relativ schnell jemand vom Oberhavel Hospiz e.V. für die Sterbebegleitung vermittelt. „Als Au- ßenstehende können unsere erfahrenen ehrenamtlichen MitarbeiterInnen oft besser helfen als ein Familienmitglied. Die Distanz verhilft zu Verständnis und Gelassenheit, wo der Angehörige vielleicht die Geduld verliert“, weiß Frau Werk. Diese letzte Betreuung fordert den ganzen Menschen, physisch und mental, und dies für eine un- bestimmte Dauer; denn den Zeitpunkt des Todes selbst bei Sterbenskranken kann auch ein Arzt nicht voraussehen. Da kommt selbst der Stärkste an seine Grenze. Sterbe- begleiterInnen wissen das und können sich darauf einstellen. „Die pflegenden Angehö- rigen setzen sich selbst oftmals viel zu sehr unter Druck. In den verschiedenen Phasen des Sterbens – wie Zorn oder Depression – sind sie nicht selten überfordert und stehen Verhaltensweisen des Sterbenden hilflos gegenüber“ so Frau Werk. Was – wie und wann – bei der Begleitung in Anspruch genommen wird, entscheidet letztendlich die Familie für und mit ihrem Kranken: Ist der Besuch von Freunden, Nachbarn erwünscht? Soll es schon wieder das Lieblingsessen sein und immer dieselbe Musik? Auch diese nur scheinbar unwich- tigen Fragen sind zu klären. Es geht um das Wohlbefinden des sterbenden Angehö- rigen, seine kleinen Freuden. Und Ster- bebegleitung kann dann sein: Blättern im Fotoalbum und Singen, Spaziergänge und Sitzwache am Bett, Kochen und Vorlesen, Gespräche und Schweigen, Beten. „Alle unsere ehrenamtlichen MitarbeiterInnen haben ganz persönliche Erfahrungen und Erlebnisse im Leben gemacht, die sie für diesen Dienst am Menschen motivieren. Ein Dienst, der Kraft und Zufriedenheit zurückgibt“, erläutert Frau Werk. Im Landkreis Oberhavel erhielten bzw. erhalten seit Jahresbeginn 140 Menschen diesen Beistand, 78 von ihnen sind seit- her verstorben – auch im Mühlenbe- cker Land. Dass es hier in unseren vier Ortsteilen mit über 15.000 Einwohnern noch keinen einzigen ehrenamtli- chen Sterbebegleiter gibt, möchte der VORGESTELLT EHRENAMT Ines Knospe, die hospizlichen Begleiterinnen Angelika Full und Simone Reibold, sowie Argid Ruten- berg und Jacqueline Werk (v. l. n. r.) vor dem „Lebensbaum“ Mit dem neuen Pflegegesetz 2019 wurden weitere finanzielle Entlastun- gen für die pflegenden Angehörigen beschlossen. Allerdings geht der Aus- bau der Infrastruktur nur langsam voran: Im Landkreis Oberhavel mit ca. 210 000 Einwohnern gibt es rund 20 ambulante Pflegedienste, aber nur einen ambulanten Hospizdienst. Über eine Palliativstation verfügt lediglich das Krankenhaus Hennigs- dorf. Das einzige stationäre Hospiz in Oranienburg hat nur 12 Plätze. Ausbildung in ehrenamtlicher Sterbebegleitung Den nächsten Kurs bietet der Verein Hospiz Oberhavel e.V. Ende Januar 2020 an. Ein solcher Kurs umfasst rund 100 Unterrichtsstunden, verteilt auf rund 10 Monate und ist mit einem kleinen Kostenbeitrag verbunden. Infos + Anmeldung: 03301 207 445 Café für Trauernde: Lebenscafé Licht-Blick Jeden 1. Dienstag im Monat ab 17 Uhr. Voranmeldung wird gewünscht. Sachsenhausener Str. 36, Oranienburg Kindertrauergruppe „Igel“ Pädagogisch ausgebildete Trauer- begleiter unterstützen trauernde Kinder von ca. 6 bis 12 Jahren, mit Austausch, Spielen und Bewe- gungsangeboten. Treff einmal im Monat montags von 16 bis 18 Uhr im Eltern-Kind-Treff Oranienburg, Kitzbüheler Straße 1a. Infos + Anmeldung: 03301 207 445, oberhavel-hospiz@gmx.de Weiterführende Infos: „Letzte-Hilfe“-Kurse fördern – nach dem Prinzip der Erste-Hilfe- Ausbildung – das Verständnis der Sterbeprozesse und Kenntnisse, um Menschen ihre letzte Lebensreise zu erleichtern. Mehrfach ausgezeichnet als vorbildliches soziales Projekt in Deutschland. www.letztehilfe.info Info 31
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy NzY5NzY=