Mühlenspiegel 27

46 D ieModeratorin Sarah Kuttner widmet sich in ihremneuen Roman „Kurt“ der Frage, wie es wei- tergehen soll, wenn der kleinste Mensch in der Familie als erstes stirbt. Wenn man sich den großen Bäumen im Summter Fried- wald nähert, wird man schnell der kleinen Schilder aus Blech gewahr, die auf Augenhöhe an den Bäumen hängen. Bläst der Wind, so tanzen sie. Auf manchen steht nur ein Name, auf anderen liest man gleich jene ganzer Familien. Die meisten von ihnen hatten ein langes Leben. Aber nicht alle, hier ruhen auch Kinder. Kinder wie Anouk, die – kaum war sie geboren – ihre Äuglein nach zwölf Tagen schon wieder für immer geschlossen hat. Ihre Eltern haben einen gro- ßen, stolzen Baum für sie ge- wählt. Ganz in ihrer Nähe, ein paar Bäume weiter, „wohnt“ Henriette. Mit zweieinhalb Jahren fand sie im August 2018 hier ihren Platz. Ihre Tafel ist dicht beschrieben – ein kleiner Berg voll Buchstaben. Er dient der Erinnerung. Ein Aphoris- mus, den man immer wieder an den Summter Bäumen liest, stammt von Victor Hugo: Du bist nicht mehr da, wo du warst – aber du bist überall, wo wir sind. Hier wurde nun auch Kurt beigesetzt. Kurt ist sechs Jahre jung, als er sich in der Hof- pause beim Rückwärtsfall vom Klettergerüst das zarte Genick bricht. Ein vollkommen sinn- loser Tod, aber unumkehrlich. Die Romanfigur Kurt in Kurt ist tot In Sarah Kuttners neuem Roman spielt auch das Mühlenbecker Land eine Rolle Kuttners gleichnamigen Buch wohnt mit dem Vater, großer Kurt genannt, und dessen neu- er Freundin Lena in Lehnitz, nur einen Katzensprung von Summt entfernt. Die drei sind Teil einer Patchworkfamilie und machen es sich gerade im ersten Frühling in ihrem neuen Eigenheim so richtig gemüt- lich. Als Kurt plötzlich stirbt. Jeder trauert für sich Das Problem bei den Beiden ist: Der Satz (…) „du bist über- all, wo wir sind“, funktioniert bei Lena und dem großen Kurt irgendwie nicht. Schließlich ist sie nicht die leibliche Mutter des toten Jungen, wenngleich sie ihn schon viel mehr ins Herz geschlossen hat, als es ihr nun lieb ist. Kuttner skizziert von hier an sehr eindrucksvoll, wie dort, wo gerade noch Hei- terkeit, Lust und Leidenschaft dominierten, plötzlich Hilflo- sigkeit, Trauer und Schmerz über den Verlust eines Kindes das Leben des jungen Paares bestimmen. Wie eine Löwin versucht Lena nun ihren in Trauer gehüllten großen Kurt zu erreichen. An einer Stelle im Buch beschreibt er ihr seine Gefühle nach dem Tod seines Sohnes: „Ich habe überhaupt keine Kontrolle über diese beschissene Traurigkeit. (…) als hätte mich ein Gefühl gekidnappt und in einen Keller verschleppt. Es gibt Tage, da ist es besser, da kann ich in die- sem dunklen Keller kurz aus dem Fenster sehen. Aber dann sehe ich eine Welt ohne Kurt und will gar nicht mehr raus- gehen. Und gleichzeitig bist natürlich auch du da draußen, und dich will ich, aber ich hab Erfolgsautorin Sarah Kuttner

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