Mühlenspiegel 24

LESEN BÜCHERSPIEGEL Wider das Vergessen „ Der Nazi und der Friseur" – Ein Roman von Edgar Hilsenrath Text: Günter Pioch Bild: Deutscher Taschenbuch Verlag www.dtv.de E d gar Hilsenrath, geb. 1926, musste bereits als 12-Jähriger mit seinen El- tern die Koffer packen und Deutsch- land verlassen. Seine Eltern gehörten zu den wenigen Juden, die die Situation in Deutschland rechtzeitig erkannten und diese schwere Entscheidung trafen. Sie begaben sich zu den Großeltern nach Ru- mänien. Die Hoffnung, den Nazis aus dem Wege zu gehen, erfüllte sich leider nicht. Der Pakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion sah eine Teilung der rumäni- schen Nordprovinz vor: Der nördliche Teil ging an die Sowjetunion/ Ukraine. Bereits 1941 kamen die faschistischen Truppen dort an. Im gleichen Jahr noch wurden Ed- gar Hilsenrath, sein Bruder und die Mutter sowie die gesamte Verwandtschaft in das Ghetto Mogiljow, Kreis Winniza, heutige Ukraine deportiert. Sie blieben alle am Leben. Im März 1944 wurde das Ghetto von sowjetischen Truppen befreit. Zu Fuß machte Hilsenrath sich auf den Weg, traf weitere jüdische Überle- bende, beschaffte sich einen fremden Pass und gelangte auf dem Seeweg über das Mittelmeer nach Palästina, damals UN- Mandatsgebiet, verwaltet durch Großbri- tannien. Hilsenrath hat auf seinem Weg nach Palästina und in Palästina persönlich das erlebt, was er im Roman „Der Nazi und der Friseur“ beschreibt. Er war auf einem der Schiffe, die diesen Weg nahmen, wie auch die Hauptfigur des Romanes, Max Schulz alias Itzig Finkelstein. Hil- senrath wird in Palästina nicht heimisch, begibt sich 1947 nach Frankreich, trifft in Lyon auf die Reste seiner Familie und 1951 emigrieren sie alle in die USA. Bereits im Ghetto von Mogiljow beschreibt er das dortige Leben: „Nacht“ heißt sein Erstlingswerk. Die Grausamkei- ten, die Hilsenrath selbst über drei Jahre lang im Ghetto erdulden musste, hat er mit einem Abstand von über 12 Jahren, die er ununterbrochen am Stoff saß, so verarbeitet, dass der Roman „Nacht“ keine direkte Anklage gegen die Nazis und ihre Helfer ist. Kein Schwarz-Weiß. Er geht gegen das Vergessen an. Das ist sein großes Anliegen. Dieses Ziel charakterisiert sein Gesamtwerk, das im Wesentlichen den Holocaust, den Völkermord an den Juden, durchdringt. Der Roman „Der Nazi und der Friseur“ wendet sich genauso gegen das Vergessen der Menschen. Wie kann man Massenmorde vergessen?! Hilsenrath geht dagegen mit stilistischen Mitteln an, die im Zusammenhang mit diesemThema bis dahin nicht genutzt wurden. Der satirische Umgang mit der Judenvernichtung und die Gründung des Staates Israel hat die deutschen Verlage so geschockt, das sie das 1969 vorliegende Manuskript nicht entgegen genommen haben. Dutzendweise haben sie abgesagt, was Hilsenrath dazu zwang, den Roman ins Englische zu über- tragen und den großen Erfolg in den USA und in England zu feiern. Danach vergin- gen noch einmal sechs Jahre. 1977 erschien das Buch im Helmut Braun Verlag, Köln. Zum Inhalt des beim Deutschen Ta- schenbuch Verlag verlegten Romans wer- den hier keine weiteren Details genannt. Er enthält jedoch eine ungeheure Spannung, ist lehrreich und interessant wie kaum ein anderes Buch zu diesemThema. Die auf dieser Seite vorgestellten Bücher werden vom Li- teraturzirkel der Gemeinde Mühlenbecker Land rezensiert und sind in der Bibliothek der Bürger- und Touristinforma- tion erhältlich. Das nächste Treffen des Literaturzirkels findet am 19.9.2018 um 19 Uhr im Gemeinderaum in der Schalfußstraße 6 (1. OG) statt.

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