Mühlenspiegel 24

STRASSENNAMEN CHRONIK Text: Karl-Heinz Schmidt Fotos: Privatarchiv, Karl-Heinz Schmidt dürfen also nicht auf der Kan- te der Bank sitzen. > Der Oberkörper darf nur sehr wenig nach vorn geneigt und keinesfalls an die Tisch- kante der Bank angelehnt sein. > Der Kopf muss möglichst gerade gehalten werden, so dass das Kinn die Brust nicht berührt. > Die Schultern müssen sich in gleichlaufender Richtung mit der Tischkante befinden. > Die rechte Schulter darf weder höher noch niederer stehen als die linke. > Der linke Vorderarm soll ganz, der rechte wenigstens mit seiner vorderen Hälfte auf der Tischplatte liegen. Wer sich nicht an die Regeln hielt wurde bestraft. Die Lehrer waren sehr streng und schlugen die Kinder mit einem Rohr- stock. Ein Schulgesetz, welches das Schlagen der Kinder er- laubte, wurde 1835 eingeführt und erst 1960 abgeschafft. Eine Schulwoche damals Da er nicht nur Lehrer, sondern auch Organist und Küster war, musste der Stundenplan den Gegebenheiten angepasst wer- den: Dem Stundenplan folgend beginnt die Schule morgens um acht Uhr und soll bis zwölf Uhr währen. Aber sehen wir zu, wie es in Wirklichkeit um die Dau- er der Unterrichtszeit steht: Montag: Die Schule kann heute nicht um acht Uhr be- ginnen; denn es findet ein Be- gräbniss statt. Die Leiche wird aus dem eine Stunde entfernten Sterbehause um halb neun Uhr, oft auch später, gebracht und dann beerdigt. Der Lehrer, der hier den Küsterdienst verrich- tet, muss bei dem nun folgen- den Gottesdienste den Orga- nistendienst versehen. Bis nun der Unterricht beginnen kann ist es zehn oder halb elf Uhr ge- worden. Aber der Lehrer, der ja nicht mehr der Jüngste ist, fühlt sich von der fast zweistündigen Anstrengung sehr ermüdet und was nun aus dem noch folgen- dem Unterricht wird, kann man sich leicht denken. Dienstag: Die Schule beginnt. Nachdem sie vielleicht eine Stunde gedauert hat, klopft je- mand. Auf das „Herein“ des Lehrers tritt die Magd des Pfarrers ein: „Herr Lehrer, Sie möchten rasch mit zum Kran- ken kommen.“ Der Lehrer muss die Schule schließen, denn der Kranke verlangt die Tröstun- gen der Religion. Aufgescho- ben kann diese Handlung nicht werden, also muss die Schule wieder zurückstehen. Mittwoch: Es findet eine Trau- ung statt und der Lehrer muss den Organisten- und Küster- dienst versehen. Die Schule be- ginnt um halb elf Uhr. Donnerstag: Wenn nun am Donnerstag womöglich noch eine Kindtaufe hinzukommt, welche, wenn auch nicht so lange Zeit, so doch eine längere Störung des Unterrichts erfor- dert, so kann man sich denken, was in der Schule geleistet wird. Gepflasterte Straßen oder eine neue Schule? ln den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ging die Ein- wohner- und damit auch die Schülerzahl sprunghaft in die Höhe. Zu Beginn der 1890er Jahre zählte Schildow bereits 365 Bewohner und 69 Schüler; nachdem 1901 die Eisenbahn- strecke Reinickendorf- Lie- benwalde/ Groß Schönebeck eröffnet worden war, setzte sich diese Entwicklung fort. Zum einen profitierte Schildow vom Kaufwillen der Berliner – so ließ die Gemeinde ab 1905 aus dem Erlös von Landverkäufen ihre Straßen pflastern – zum anderen stiegen natürlich auch die Ausgaben für das öffentli- che Leben. Nachdem die neue Kirche bereits 1897 erbaut und geweiht worden war, war jetzt die Schule an der Reihe: Die Re- gierung verfügte im Jahre 1903 einen Schulneubau für den Ort. Nun allerdings zeigte sich, dass die Einwohner bei weitem nicht mit dem selben Eifer, den sie bei der Sanierung der Straßen und Wege an den Tag gelegt hatten, für die Bildung eintraten: Die Gemeindevertretung schob den Beschluss über die neue Schule von Jahr zu Jahr vor sich her. Bald hieß es, die Situation drän- ge nicht; dann wieder waren es Finanzierungsfragen: Laut ur- kundlichen Festlegungen aus dem 19. Jahrhundert hatte die Kirche 19 Zwanzigstel der Un- terhaltungskosten für die Schule zu tragen und dazu war sie nicht bereit... Im Jahre 1907 kam der Landrat zu dem Schluss, daß die „Auseinandersetzungs- Ver- handlungen über das Küsterei- und Schulvermögen in Schil- dow als gescheitert anzusehen” sind. Zur selben Zeit wurde die Situation für die Kinder immer prekärer: lm Schulzustandsbe- richt für das Jahr 1907 waren 71 Schüler aufgeführt (davon 29 Knaben und 42 Mädchen, 70 evangelisch und 1 katholisch), die in einer kombinierten Ober- und Mittelstufe mit 20 Wochen- stunden und in einer Unterstufe mit 14 Wochenstunden unter- richtet wurden. Der Zustand des 1818 gebauten Hauses wur- de in diesem Zusammenhang als „nicht mehr gebrauchsfähig” bezeichnet. ln diese bewegte Zeit fiel der Tod des verdienstvollen Dorfschullehrers und Organis- ten Hermann Schmalfuß, der am 13. Juli 1909 während eines Kuraufenthaltes in Marienbad einem Schlaganfall zum Opfer fiel. Zwei Jahre zuvor hatte der Schulrat noch aktenkundlich festgehalten: „Schmalfuß ist ei- ner der tüchtigsten Lehrer mei- ner Inspektion.” Der über 60-Jährige hat- te jahrzehntelang als einziger Lehrer gearbeitet; bereits 1878 – so ist überliefert – hatte der Lehrer und Küster den Män- nergesangsverein „Euterpe” gegründet. Die wachsenden Schülerzah- len und der zunehmende Ver- fall des Küsterschulgebäudes zwangen schließlich auch die Ortsoberen, sich über die Zu- kunft der Schule Gedanken zu machen. Ein kreisärztliches Gutachten vom 22. September 1911 hatte große Vorbehalte gegen eine Weiternutzung des Gebäudes; im einzelnen wurde bemängelt: die Wände müs- sen gestrichen werden; viele Dielenbretter sind morsch; es fehlen Spucknäpfe (!), die Klo- settanlagen sind „ganz unzu- länglich“… Nach erneutem Hin und Her zwischen Kirch- und politischer Gemeinde kam es schließlich am 8. Juli 1912 zum ersten Spatenstich für die neue Schule (dem ehemaligen Schildower Rathaus), die am 1. April 1913 eingeweiht werden konnte. Bei diesem Anlass erhielt die kleine Zufahrtstraße dann gleich den Namen von Her- mann Schmalfuß, den sie sich erstaunlicherweise durch die Wirren des 20. Jahrhunderts hindurch bis heute bewahren konnte. Altes Schulgebäude, erbaut 1818 - heute Gemeindehaus 11

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