Mühlenspiegel 22

45 viele Interessenten anziehen. Ob diese sich Bietergefechte liefern, was für hohe Zuschläge sorgt, liegt mit am Geschick des Auktionators. Micha- el Lehrberger ist, was dies betrifft, ein „alter Fuchs“, und war aus der Schweiz angereist, um in den folgenden fünf Tagen für Historia die Mühlen- becker Auktion zu leiten. Der gebürtige Niederbayer ist seit fast 35 Jahren in der Branche unterwegs, führte selbst ein Auktionshaus bei München. Heute betreut er außerdem die Einlieferungskunden. Wer bietet mehr? „Nächster Aufruf: Los 2099. Eine Empiretasse mit Unter- teller, Anfang 19. Jahrhundert, 80 Euro das Limit. Dort im Saal sehe ich 90. Wer legt noch drauf? Wir suchen ein Gebot von 100 …“ Am dritten Auktionstag rief Lehrberger Los um Los in den Kategorien Porzellan und Glas, Uhren, Bildhauerkunst auf; flankiert von Assistenten, die Angebote per Handy und Internet entgegennahmen. Auf einem Bildschirm wurden die entsprechenden Objekte gezeigt. Die Gruppe Saalbieter blieb noch übersichtlich, bei der späteren Möbel-Auktion war der Saal dann voll besetzt. Dem erfahrenen Auktionator und Dauer-Redner entging keine Handbewegung, kein Kopfnicken; Konzentration, Rundumblick und eine ange- nehme Portion Entertainment bis zum letzten Los des Tages. Als Auktionsneuling ist man spätestens nach zwei Stunden Porzellan-Versteigerung platt: Frühstücksservice, Speiseser- vice, Kaffeeservice. Prunktel- ler, Zierteller, Platzteller. Die Marken weisen auf Hersteller aus Deutschland, Frankreich, Böhmen, Italien: Meissen, Ro- senthal, KPM Berlin, Bavaria, Manufaktur Richard Ginori, Bing & Gröndahl. „Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten! Den Zuschlag erhält …Weiter geht es mit einer Sammlung sehr schö- ner Wappengläser aus dem 18. Jahrhundert …“ Michael Lehrberger arbeitete sich von Aufruf zu Aufruf und ließ Hammerschlag auf Hammer- schlag folgen. Schätze und Schnäppchen Auktionen sind übrigens nicht nur spannend. Je länger man sich zwischen all den Schätzen umschaut, je mehr Dinge ge- fallen einem. Das können auch skurrile sein, wie sie hier im Angebot waren: ein tanzendes Eidechsenpaar aus Bronze, ein Konvolut aus 76 Eisennä- geln, Porzellanmöpse in allen Varianten: sitzender, stehen- Nachtrag: Zu DDR-Zeiten dienten die Industriehallen in der Kastanienallee als Depot für Kunst- und Kulturgüter, beschafft aus z.T. dunklen Quellen und eingelagert von KuA, der Kunst- und Antiquitäten GmbH des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo) im Ministerium für Außenhandel der DDR. Diese Antiquitäten wurden zwecks Devi- senbeschaffung in den Westen verkauft. der, liegender Mops, Mops als Deckeldose – man will es unbedingt haben, egal warum. Das passiert auch alten Hasen, die wollten einen Regulator ersteigern und kommen mit dem vierten Porzellanmops nach Hause. Ob die Aura der unzähli- gen Gegenstände aus vergan- genen Zeiten eine unwider- stehliche Anziehungskraft entwickelt oder der Zauber vom Material ausgeht: Elfen- bein, Perlen, feinstes Silber und Gold, Jade, poliertes Holz? Vielleicht fasziniert die kunst- volle Bearbeitung oder das Alter, die Seltenheit? Die Sache mit den Wünschen ist schon geheimnisvoll. Zweite Nachlass- Auktion Pierre Brice Die Pierre-Brice-Fans, Karl- May-Filmfreunde, private Cineasten oder Fachleute aus der Filmbranche können sich schon mal freuen; denn Historia bereitet eine erneute Versteigerung weiterer Teile des Winnetou-Erbes vor. Eine gute Gelegenheit, ein Erin- nerungsstück des beliebten Schauspielers zu bekommen. War die erste Nachlass-Aukti- on 2015 ein großartiger Erfolg, ist für den neuen Termin ebenfalls mit Überraschungen zu rechnen. Unter den Ham- mer kommen nach Christian Gründel „vom Bambi bis zum Klavierflügel des Komponis- ten Martin Böttcher, dessen Karl-May-Filmmusik zu den WIRTSCHAFT VERSTEIGERUNGEN Informative Kataloge geben während der Versteigerungen einen Überblick Verlockende Schätze und Schätzchen, wohin das Auge streift Auktionator Michael Lehrberger ganz in seinem Element Text: Lucién Weber Bilder: Fotogruppe SichtWeisen www.historia.de musikalischen Western Clas- sics gehören, viele, viele weitere Gegenstände aus dem Hause Pierre Brice.“ Die Witwe Hella Brice hat sich der Sichtung und Sortierung von Manuskripten, Filmrollen ihres verstorbenen Mannes gewidmet. Es könnte sein, dass sich Interessenten aber auf den Weg nach Berlin-Schöneberg zum Firmen-Hauptsitz machen müssen, da wollte man sich sei- tens des Auktionshauses noch nicht festlegen. Ob die „Fla- nerie Mühlenbeck“ zukünftig für Auktionen im Norden von Berlin stärker genutzt wird – da ist der Hammer auch noch nicht gefallen. „Unbestritten ist die Großräumigkeit ein großer Vorteil“, so Christian Gründel, „die gestattet die Präsentation großer Sammlungen, umfang- reicher Möbelsortimente und kompletter Möbelensembles, sogar mehrerer Oldtimer.“ Es gäbe aber auch Nachteile, beispielsweise logistischer Art; außerdem seien die Hallen sanierungsbedürftig. An der 138. Historia- Versteigerung haben sich mehr als 3.000 Bieter, darunter nationale und internationale Kunsthändler, Sammler und Museen aus etwa 40 Ländern live, per Telefon oder aus dem Netz beteiligt. Mit dem Ergeb- nis sei man zufrieden, war von Inhaber Gründel zu erfahren. Allein ein prunkvolles Speise- zimmer aus der Gründerzeit wechselte für 55.000 Euro den Besitzer. Versteigerungsfüh- rend war die Kategorie Samm- lerobjekte mit 700 Zuschlägen, gefolgt von der Kategorie Gemälde und Grafiken des 19. und 20. Jahrhunderts mit rund 590 Zuschlägen; auf Platz drei lag mit 585 Zuschlägen die Kategorie Schmuck.

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