Mühlenspiegel 22

14 KUNST LYRIK D ie Verse fallen mir in die Hand“, sagt Maria Ilona Poppendieck mit dem ihr eigenen herzlichen, offenen Lachen. Sie werden ihr „ein- fach geschenkt“. Überall und unvermutet. Wenn sie draußen ist in der Natur, aber auch, wenn sie im Auto unterwegs ist oder zu Hause. Sie erblickt eine Blüte, ein Blatt, den Himmel, das Meer. Im Ohr die Stille, das Rau- schen der Wellen, den Wind, oder den Ruf eines Vogels… und dann ist das Haiku einfach da: drei Zeilen bestehend zumeist aus Wortgruppen von 5-7-5 Silben. Inspiriert von der Natur oder einem ergreifenden Moment der Schönheit gibt das Haiku in allerknappster Form einen einzigartigen, nie wiederkehrenden Augenblick wieder. „Es ist immer auch ein Dank an die Schöpfung, dass ich die Dinge wahrnehmen, bestaunen und aufschreiben darf“, sagt die freischaffen- de Künstlerin, die in ihren Gedichten innere Verbunden- heit mit der Schöpfung zum Drei Zeilen sind die gan Maria Ilona Poppendieck aus Schildow verfasst Kurzgedichte nach japa Ausdruck bringen möchte. Heinz-Jürgen Poppendieck, Ehemann, Unterstützer und Förderer der Haiku-Autorin, sagt es mit ergreifenden Wor- ten: „Drei Zeilen sind immer die ganze Welt.“ Seit über 20 Jahren befasst sich Maria Ilona Poppendieck, die in den Anthologien des Czernik-Verlages auch veröf- fentlicht, mit der traditionellen japanischen Gedichtform. Das Meer, der Wind, ein Vogelruf im Watt, der Sturz- flug der Möwen – Motive wie diese hat die gebürtig aus Schleswig stammende Dich- terin und Batikerin von der Insel Sylt mitgebracht. 38 Jahre lang lebte sie mit ihrer Familie auf dem Eiland. Hinter dem Haus direkt vor dem Deich nur noch das Wattenmeer, Wind und Luft; die Kiebitze flogen ein: Da musste ihr das Haiku „zwangsläufig in den Weg kommen“. Wegen der Kinder und Enkelkinder, die inzwi- schen in Berlin und Schildow leben, sind die Poppendiecks 2014 ins Mühlenbecker Land gezogen. Von der See ins Inland. Ein großer Schritt, den sie nicht bereuen. Ihr Leben auf Sylt war erfüllt, aber auch in Schildow waren sie sofort zu Hause, erinnert sich das Ehe- paar. Freundlich wurden sie aufgenommen und trafen über- all auf nette Menschen. „Und die Landschaft fasziniert uns“, schwärmt Maria Ilona Poppen- dieck. „Sylt hat einen eigenen Reiz, aber hier haben wir die Bäume, die weiten Felder… und den Mond und die Sonne sehen wir auch hier aufgehen“, fügt sie lachend hinzu. Kontakt suchten und fanden sie schnell Die erste Lerche unsichtbar im Himmelsblau sie singt vom Frühling

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