Mühlenspiegel 17

51 PORTRAIT KULTUR nert sich Jackie. Getragen von der Eupho- rie der Wendezeit und dem Rhythmus der Techno-Musik. Mit unkonventionellen Ideen kommt man weiter, so ihre Maxime. So hat sie sich als Meerjungfrau „Mermaid Jaculine“ selbst erfunden und dazu die eigenen Kurz- geschichten in Gut’s Radiosendung „Oce- anclubradio“ viele Jahre erfolgreich auf Radio Eins präsentiert. Es folgten Lesungen u.a. in Wien, Bonn und London: In einem fantasiereichen Kostüm mit violetter Fisch- flosse als Schleppe. Das Schreiben liegt ihr. Pointierte Sze- nen des Alltäglichen. Seit 2001 schreibt Ja- ckie für das Stadtmagazin Tip regelmäßig, auch für die Berliner Zeitung, und verfasst amüsante aber auch nachdenkliche Kolum- nen. Sie „hat dabei ein einzigartiges Gespür für außergewöhnliche Orte, besondere Menschen und skurrile Situationen“, so ist über sie zu lesen. Ihr Geheimnis? "Sich selbst nicht so ernst nehmen und über sich lachen kön- nen", weiß Jackie darauf zu antworten. Seit einiger Zeit spürt sie die Veränderungen, die ein Leben an der Peripherie der Haupt- stadt mit sich bringen. Hier bleibt mehr Zeit, in die Tiefe der Gedanken einzutau- chen und den Blick zu schärfen. Doch nicht alles ist immer so, wie Jackie es sich wün- schen würde. Nach der dritten Tasse Kaffee schmie- den wir Pläne. Pläne für 2017. Pläne für mehr Vielfalt und Kultur hier in unserer Heimat. Island ist ihr Sehnsuchtsort, verrät sie. Diese unendlich schöne Natur, fast unwirk- lich und zauberhaft, hat es ihr und ihrem Mann angetan. Dort haben sie auch gehei- ratet, auf einer grünen Wiese, ein paar wil- de Island-Ponys waren die einzigen Gäste. Auf dem Hochzeitsfoto wirkt die Szene wie aus einem Lars-von-Trier-Film: Eine schöne Braut mit langem Schleier, die barfuß über Hügel einer entrückten Landschaft läuft. Inzwischen hält die Dämmerung Einzug. Die Bäume vorm Fenster werfen Schatten im satten Vollmond. Um das Haus schlei- chen zwei Stubentiger. Mehr Wildnis geht (hier) nicht. Unser Lesetipp: Jackie A. "Apple zum Früh- stück" – Mein Leben zwischen Disco und Dispo (2013), Verlag Blumenbar, 236 Seiten, Preis: 16,90 Euro. Der Plan von Jackie A. Der Plan ist, möglichst viele Berliner und Berlinerinnen zu überzeugen, ihre bisherige Wirkungsstätte des Wahnsinns zu verlassen, um sich in meiner Nähe, ins Umland abzu- setzen. Gentrifizieren Sie mein Dorf! Erhöhen Sie meine Lebensqualität! Eröffnen Sie den ersten Bioladen oder ein Café, in dem der Kaffee nicht nach Brandenburg schmeckt. Sorgen Sie für ästhetischen Aufruhr, indem Sie ihre Häu- serfassade nicht im exakt selben Ton streichen, wie es 2.132 andere vor Ihnen taten. Oder seien Sie einfach nur da, um am Smartphone gestikulierend ein bisschen urbanes Lebensgefühl zu verbreiten. Sie könnten mir auch helfen, dem freundlichen, jedoch verirrten Dorf-Taxifahrer zu erklä- ren, dass er nicht in der BRD-GmbH lebt. Bekommen Sie auf einem verlassenen Feldweg vor lauter Ruhe hektische Flecken am Hals. Entgegen aller Gerüchte ist das Landleben noch er- schwinglich, und wer sich eine 3-Zimmer- Wohnung in Friedrichshain leisten kann, für den ist auch ein Häuschen in der Pampa drin. Man kann übrigens auch mieten. Ich spreche von einer Win-Win Situation. Sie entkommen der Mietpreisspirale, finden stattdessen im Wald Pilze und Ihr inneres Gleichgewicht, und ich brauche mich nicht länger wie ein Freak zu fühlen. Als die aus Berlin, die den Rasen nie mäht, denn auch Sie hätten vermutlich Besseres zu tun. Vielleicht müssten sie sich von lieb gewordenen Traditionen verabschieden, wie dem Mieter unter Ihnen, der den Bass gegen zwei Uhr nochmal aufdreht. Dafür könnten Sie auf zugigen Bahnhöfen endlich ihr Buchkonzept fertig stellen, während Sie auf die verspätete Anschlussbahn warten. Statt mit Berliner Schnauze würden Sie sich mit Brandenburger Humor auseinandersetzen, was nicht tragisch ist, denn auf dem Land nimmt man sich selbst nicht zu wichtig. Der Mensch ist zahlenmäßig ohnehin unterlegen. Stattdessen rocken Pferde, Mücken und Hühner die Ortschaft, zwi- schendurch auch eine Horde besoffener Waschbären oder ein Storch namens Ronny. Der drangsalierte unweit ein gan- zes Dorf, attackierte im Hormonrausch parkende Autos mit dem Schnabel, bis Halter genervt ihre Wagen umsetzten und seither auf einen schnellen Wintereinbruch (und Ronnys Ab- flug) hoffen. Die Wildschweinsichtungen im eigenen Garten verliefen problemlos, neu ist der Fuchs. Er rollt sich hier zur Mittagsruhe ein und ich muss zugeben, so vor dem Ofen zu sitzen, während ein wildes Tier vor der Türe einschläft, ist nicht unbedingt ein Hinweis auf den bewegtesten Standort der Welt. Ich hoffe aber, Sie kommen trotzdem. Abdruck mit freundlicher Genehmigung der GCM Go City Media GmbH, Berlin Text: Gudrun Engelke Fotos: Thomas Ecke, privat Lange her. So ging es durch die Berliner Clubs: Technofan Jackie Anfang der Neunziger mit dem Berliner Veranstal- ter Andreas Schwarz. „Berlin ist der Platz, der mich immer überraschen kann.“ Als Meerjungfrau in Gudrun Gut’s Radiosendung „Ocean- clubradio“ hat Jackie viele Jahre erfolgreich eigene Kurzge- schichten präsentiert: mit violetter Fischflosse als Schleppe

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