Mühlenspiegel 17

50 S ie sei angekommen, hat hier einen anderen Blick auf die Dinge und Menschen, meint die attraktive Mitt- vierzigerin Jackie und streckt sich gemüt- lich bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch. Der Blick durchs Fenster gibt ein klei- nes Stück unberührte Natur frei. Dunkle Tannen, ein bisschen Wiese, daneben ein kleiner Holzschuppen. „Hoffentlich hält der noch ein bisschen“, meint sie. Er ist ein Relikt aus alten Zeiten. Stand schon auf dem Grundstück, als sie dieses Stückchen Land gemeinsam mit ihrem Mann zur neu- en Heimat erkoren hat. Und nun sitzt Jackie hier in der Provinz und muss erst einmal klarkommen mit dem neuen ländlichen Lebensgefühl. Mit Nach- barn. Mit verlassenen Feldwegen und der Ruhe. Im Winter wird es immer noch schlim- mer, kaum ein Auto fährt hier entlang. Jackie stellt sich auf die zweite „Überwin- terung" auf dem Dorf ein, aber an Winter- schlaf ist nicht zu denken. Jackie A., so ihr Künstlername, ist nicht nur charmant, sondern auch eine Frau mit vielen Talenten, interessiert, engagiert, witzig. Für das Berliner Stadtmagazin tip schreibt sie Kolumnen. Und trifft mit ihren kleinen Anekdoten des alltäglichen Wahn- sinns immer den Zeitgeist. Wie Jackie A. in die Provinz kam Bei der zweiten Tasse Kaffee kommen wir auf die Politik zu sprechen. Gerade ist die Trump-Wahl gelaufen. Jetzt sollte man sich auf Inhalte konzentrieren, so ihre Mei- nung. Wir nehmen Ereignisse „schockiert“ zur Kenntnis, und dann? Jackie wünscht sich eine bunte, vielfältige Gesellschaft mit Menschen, die auch was dafür tun. Bevor sie mit ihrem Mann hierhergezogen ist, ha- ben sie sich schon genau ein Bild vom Ort gemacht. Was für Menschen leben hier, wie geht man miteinander um? All das hat sie in Kneipen erfahren und durch Internetre- cherche. Ja, auch so eine kleine Gemeinde hinterlässt ihre Spuren im Web. Das Glück war hold, die Einträge auch. Sie erinnert sich gern daran, dass ihr hier lächelnde Menschen begegneten. Das ist ihr in Berlin eher selten passiert. Überhaupt Berlin: was hat Jackie dort nicht alles erlebt, nach der Wende. Sie ist 1989 aus der DDR über die Pra- ger Botschaft geflohen und nach Westberlin gekommen. Ihre erfolgreiche Ankunft fei- erte sie mehrere Jahre lang in nahezu jedem Berliner Club. Über diese verrückten Zei- ten, das „Leben zwischen Disco und Dis- po“, gespickt mit ihren Tagebucheinträgen aus der Teenagerzeit, hat sie ein (Geschich- ten-) Buch geschrieben. Es ist sozusagen ein Zusammentreffen von zwei ganz verschie- denen Welten, „analoges Tagebuch trifft Blogs“, es steckt unendlich viel Leben und Erlebtes darin. Sie ist dankbar für die verrückten Jahre, denn sie hatte alle Freiheit, sich selbst aus- zuprobieren und ihre Talente zu entdecken. Ob als enge Mitarbeiterin beim Plattenlabel von Gudrun Gut, als Moderatorin der SFB- Szenesendung „Berlin Beat", als Nachtle- benreporterin, es sind Erfahrungen, die Jackie für sich gefiltert hat. „Man kann sich in eine Richtung ent- wickeln, wenn man frei ist“, meint Jackie. Besonders Gudrun Gut hat sie geprägt. Die Ikone des Post Punk hat mit ihrer kreativen Art Spuren hinterlassen, eine sogenannte Lehrausbildung der besonderen Art, erin- Keine Angst vor wilden Tieren Jackie mit Ehemann Klaus und den Katzen Coffi und Ti vor ihrer Scheune im Mühlenbecker Land

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