Mühlenspiegel 12
40 Die Heidekrautbahn 114 Jahre Geschichte und Geschichten – Teil 3 N ach der Machtergreifung der Natio- nalsozialisten im Januar 1933 folgte die „Gleichschaltung“ im Bahnbe- trieb, der Name „Heidekrautbahn“ wur- de im offiziellen Sprachgebrauch durch die Bezeichnung „Reinickendorfer Bahn“ ersetzt und das „Gesetz zur Wiederher- stellung des Berufsbeamtentums“ hatte einschneidende Konsequenzen für das Unternehmen. Viele altgediente Beamte und Angestellte mussten gleichsam über Nacht die Bahn verlassen, weil sie Mitglied der verbotenen Sozialdemokratischen Par- tei Deutschlands waren. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende Ernst Reuter wurde aus politischen Grün- den entlassen, selbst Betriebsräten wur- de gekündigt. Nachweise über „abgelegte Treuegelöbnisse“ und „arische Abstam- mung“ sämtlicher Beschäftigten mussten von der Unternehmensleitung vorgelegt werden, denn jegliche finanzielle Unter- stützung für die Bahn wurde davon ab- hängig gemacht. Erst nach Erbringung der Unterlagen erhielt die Bahn ein dringend benötigtes staatliches Darlehen für die Instandhaltung der Gleisanlagen in Höhe von 260 TSD Reichsmark. Von den bald einsetzenden Arbeits- beschaffungsmaßnahmen war auch die Heidekrautbahn betroffen. Jetzt kamen Arbeitslose für die entlassenen Kollegen zum Einsatz und ein gewaltiges 10-Jahres- Programm wurde angeschoben. Im Rahmen dieser Arbeitsbeschaffungspro- gramme wurde - offiziell als „Notstands- arbeit“ bezeichnet - 1933 Lottschesee als neuer Haltepunkt gebaut und eröffnet. Im Jahr darauf erfolgte ein Umbau der Gleise zwischen Zehlendorf und Liebenwalde sowie zwischen Ruhlsdorf-Zerpenschleu- se und Groß Schönebeck, so dass nun im gesamten Streckennetz auch Waggons der Deutschen Reichsbahn mit 20 Tonnen Achslast eingesetzt und generell mit 50 km/h gefahren werden konnten. 1935 schließlich wurde in Basdorf für die neuen Triebwagen T1 bis T5 eine eigene Halle fertig gestellt. Wozu diese groß angeleg- ten Investitionen in das Schienennetz der „Reinickendorfer Bahn“ unter anderem dienen sollten, wurde schon wenig später klar. Einige Rüstungsbetriebe nahmen entlang der Heidekrautbahn ihre Pro- duktion auf, zivile Betriebe stellten auf Rüstungsgüter um. Vor diesem Hinter- grund bekam der lang geplante Ausbau einer schnellen Bahnverbindung zwischen Basdorf und Berlin, namentlich zwischen den 1936 nördlich von Basdorf errichteten Brandenburger Motorenwerken („BRA- MO“, einem Tochterunternehmen von Siemens & Halske) und den etablierten BMW-Flugmotorenwerken an der Kopen- hagener Straße in Reinickendorf, neuen Auftrieb. Zwischen der für die Rüstungsarbeiter aus dem Boden gestampften „Hermann- Göring-Siedlung“ (heute „Karl-Marx- Siedlung“) in Basdorf und dem Halte- punkt BRAMO entstand ein regelrechter Werkverkehr. Die im Jahr 1936 329 Beschäftigte zählende Niederbarnimer Ei- senbahn-Aktiengesellschaft war auf diese Weise fest in die Verkehrspläne der neuen Machthaber eingebunden und nahm mit einer umfassenden Selbstdarstellung an Hitlers Ausstellung „Gebt mir vier Jahre Zeit“ teil. Erwähnt sei, dass die Direktion der Bahngesellschaft mehrfach ihren Sitz verlegte und ab 1936 in den Räumen Fon- tanestraße 31 - direkt am jetzt zu Berlin- Pankow gehörenden Ausgangsbahnhof der Heidekrautbahn - zu finden war. Im Nachgang zur Gebietsreform hieß dieser Bahnhof ab 1937 „Berlin-Wilhelmsruh (Niederbarnimer Eisenbahn)“, der Klam- mertext diente der Unterscheidung zum daneben liegenden S-Bahnhof auf Reinickendor- fer Gebiet. Rosenthal und Blankenfelde erhielten den Vorsatz „Berlin-“. Ein Novum jener Tage war der noch im Test fahrende dieselmechanische Triebwa- gen T4, der den Anfang vom Ende einer Ära einläutete. Zwar fuhren Dampfloks noch bis in die 60er Jahre auf der Stre- cke, wurden aber seit dem Einsatz des T4 sukzessive zurückgedrängt. Insgesamt sieben Triebwagen wurden bestellt. Grund dafür war nicht nur der Wunsch, auf das Bahnhof Mühlenbeck Ende der 30er Jahre
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