Mühlenspiegel 11

45 HEIDEKRAUTBAHN CHRONIK Text: Karl-Heinz Schmidt Fotos: Sammlung W. Fledrich www.neb.de die vor allem die Berliner ins Grüne bringen sollten. Ein- malig in ihrer Geschichte fi- nanzierte die Bahngesellschaft gleich am Bahnhof Ruhlsdorf- Zerpenschleuse eine Schiffs- anlegestelle und ließ sich ein ,,Kombi-Ticket“ einfallen. Mit dem neuen Fahrschein war es möglich, wahlweise die An- reise per Bahn oder Schiff zu unternehmen und hier an der Schnittstelle von Finowkanal und Groß-Schifffahrtsweg den Verkehrsträger zu wechseln. Tickets vorgezeigt und schon legten Dampfer im Regel- oder Charterverkehr ab in Rich- tung Spandau oder sogar zum Werbellinsee. Später – ab 1934 – lockte das Schiffshebewerk Niederfinow als tech- nische Sensation wei- tere Fahrgäste an. Ein Streitpunkt belastete zunehmend das Ver- hältnis Niederbarnims zu Berlin. Das Einge- meindegesetz hatte festgelegt, dass die vom Landkreis gebauten Verkehrswege - darun- ter die 1907 /08 erbau- te 22 Kilometer lange ,,Kreis-Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde“ - an die Reichshaupt- stadt samt Personal übergehen sollten. Der Landkreis wollte diese Güterbahn jedoch aus historischen Gründen behalten. Die Auseinanderset- zung endete am 27. April 1925 mit einem Vergleich. Berlin klärte unter anderem beste- hende Entschädigungs- und Pensionsansprüche und er- warb sodann für 2,8 Millionen Reichsmark die Industriebahn. Allerdings blieb Berlin ver- pflichtet, diese Bahn umge- hend in die Reinickendorf-Lie- benwalde-Groß-Schönebecker Eisenbahn-Aktiengesellschaft einzubringen. Dafür war die Bahngesellschaft verpflichtet, für die jetzt nur noch ,,Indust- riebahn Tegel-Friedrichsfelde“ genannte Güterbahn Aktien im Wert von 1,464 Millionen Reichsmark neu auszugeben und an Berlin zu übergeben, ferner Berlin Schuldverschrei- bungen in Höhe von weiteren 1,336 Millionen Reichsmark zu überlassen und schließlich noch zwei Aufsichtsratsstellen im Bahnunternehmen ein- zuräumen. Die Privatbahn- gesellschaft übernahm die Industriebahn am 1. Juli 1925 gegen den erklärten Willen des Vorstands. Man nutzte die Ge- legenheit, die Bilanzierung der Geschäftsjahre - bislang von April bis März - auf Kalender- jahre umzustellen. Die Entscheidung traf die Bahn zu einem denkbar un- günstigen Zeitpunkt. Die Li- quidität der Bahngesellschaft war angegriffen. Im Verhältnis zur Vorkriegszeit verlangte der Staat von der Bahn das fünfzig- fache Steueraufkommen. Ins- besondere die Beförderungs- steuer stieß auf Unverständnis im Unternehmen. Der Rück- gang der Industrieen beidsei- tig der Bahn, insbesondere die Schließung von Ziegeleien und Kiesgruben, machten der Bahn zusätzlich zu schaffen. Berlin zählte 1926 erst- mals über vier Millionen Ein- wohner. Entlang der Strecke bis in die Schorfheide hinein waren Ausflügler unterwegs, um dem grauen Alltag zu ent- fliehen und Wiesen, Seen und Wälder – kurz, die unverwech- selbare Schönheit des Landkreises Nieder- barnim – zu erleben. Viele Strandbäder und Kleingärten entstanden in dieser Zeit. Dem Be- dürfnis nach besseren, vor allem aber schnel- leren Verbindungen im Nahverkehr kam die Bahngesellschaft nach, indem sie neue, leistungs-starke Loko- motiven vor Züge mit zusätzlichen Personen- waggons spannte. Das 25-jährige Jubiläum der Eröffnung der Heide- krautbahn wurde am 20. Mai 1926 im Kreis- sitzungssaal des Kreises Niederbarnim in Berlin mit geladenen Gästen festlich be- gangen. Eine Denkschrift zum Jubiläum erschien. Die ,,Übernahme“ der ehe- maligen ,,Kreis-Industriebahn Tegel-Friedrichsfelde“ war ver- bunden mit der Zustimmung des Deutschen Reichs vom 22. Dezember 1925 zur Erweite- rung des Geschäftszwecks der Bahngesellschaft auf den Be- trieb der Strecke Tegel-Fried- richsfelde. Aus diesem Grund gab sich die Reinickendorf- Liebenwalde-Groß-Schönebe- cker Eisenbahn-Aktiengesell- schaft einen neuen Namen. Mit Wirkung vom 8. Januar 1927 firmierte sie fortan unter der Bezeichnung ,,Niederbar- nimer Eisenbahn-Aktienge- sellschaft“. Im gleichen Jahr 1927 wurde auf Antrag Berlins die Höchstzahl der Aufsichts- ratsmitglieder auf elf erhöht, so dass Ernst Reuter in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Aufsichtsrats aller Berliner Verkehrsanstalten (ab 1928 zur BVG zusammengefasst) in den Aufsichtsrat der Bahngesell- schaft aufgenommen werden konnte. Reuter wurde übrigens nach Erwerb der einfachen Aktienmehrheit Berlins am 30. August 1929 zum Aufsichts- ratsvorsitzenden der Nieder- barnimer Eisenbahn-Aktien- gesellschaft gewählt. Am 5. Oktober 1927 wur- de der neue Haltepunkt Schil- dow-Mönchmühle eingeweiht. Am Bahnhof Wandlitzsee wurde im gleichen Jahr mit dem Bau eines neuen, reprä- sentativen Empfangsgebäudes samt Bahnhofsrestauration und Fremdenzimmern begon- nen. Ständchen am Bahnsteig in den 30er Jahre Ein Fahrplan aus den 30er Jahren Quellen Tombrink, Sven: 100 Jahre Heidekrautbahn / Geschichte und Geschichten (Hrg.: NEB) Opravil, Jürgen: Die Heidekrautbahn

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