Mühlenspiegel 08
36 L esen ist ihre Leiden- schaft, es ist nicht nur ein Hobby, sondern eine Lebenseinstellung. Für die Schildowerin Annemarie Wil- ke beginnt morgens der Tag mit Zeitungslesen und abends im Bett ist Schmöckern angesagt. Eine besondere Vorliebe bei der Wahl der Lektüre hat sie nicht. Bücher werden querbeet gele- sen, egal ob historische Roma- ne, Klassiker, Belletristik oder moderne Unterhaltungslitera- tur. Bereits vor der Gartenpfor- te in der Paul-Richter-Straße 12 ist erkennbar, dass hier ein Büchermensch wohnt, eine Sitzbank und eine Kiste Bücher laden zum Verweilen ein und nicht selten ist dieser Platz von Vorübergehenden besetzt. Die Bücher sind zum Mitnehmen, Weitergeben oder nach dem Le- sen zurückzubringen. „Für mich war schon im- mer klar, dass ich nach Been- digung meiner Berufstätigkeit ehrenamtlich arbeiten werde und es sollte etwas mit Kindern sein. Dann las ich in der Zei- tung den Aufruf vom Bürger- netzwerk Bildung des Vereins Berliner Kaufleute und Indust- rieller (VBKI), dass für Grund-, Förder- und Sekundarschulen sowie Kindertagesstätten in sozial schwieriger Lage ehren- amtliche Lesepaten gesucht werden. Ziel des Projektes ist, das bürgerliche Engagement zu stärken und dazu beizutragen, dass Kinder und Jugendliche, insbesondere mit Migrations- hintergrund, unter besseren Bedingungen aufwachsen und sich angenommen fühlen. Mei- ne Bewerbung war erfolgreich, eine pädagogische Ausbildung war nicht notwendig und ein- mal wöchentlich zwei Stunden mit den Kindern zu verbringen, reizte mich. Ich wurde an eine Grundschule vermittelt und konnte mir eine Schulklasse aussuchen.“ Das alles ist nun fast schon zehn Jahre her. Zuerst arbei- tete Annemarie Wilke in ver- schiedenen Klassen. Ihr jetzi- ges Wirkungsfeld sind Schüler einer 4. Klasse, die sie seit ihrer Einschulung betreut. „Immer wieder stelle ich fest, dass es für die Kinder un- heimlich wichtig ist, dass man ihnen zuhört, ihnen das Ge- fühl vermittelt, wichtig zu sein. Das ermutigt sie und fördert das Selbstbewusstsein. Zum Beispiel gehört seit der 1. Klas- se eine kleine Italienerin zur Gruppe, die damals kaum ein Wort Deutsch sprach und sehr schüchtern war. Heute gehört das Mädchen zu den Besten und hat überhaupt keine Angst mehr zu sprechen“, erzählt sie weiter. In der Regel arbeiten die Lesepaten mit einzelnen Schü- lern oder kleinen Gruppen. Mit ihrer Unterstützung soll der Lese- und Lernprozess der Schüler gefördert werden. Sie versuchen die Lesemotivation und Leseleistung der Schüler zu entwickeln, indem sie die Kinder vorlesen lassen oder gelegentlich auch selbst vor- Die Lesepatin lesen, geduldig zuhören und die Kleinen ermuntern , das Textverständnis fördern und Begriffe erklären, die Bemü- hungen anerkennen und Fort- schritte loben, respektvoll mit den Kindern umgehen und auf Fortschritte geduldig warten können. Generell ist festzustellen, dass heutzutage viele Kinder schon mit großen Sprachdefi- ziten eingeschult werden. Oft mangelt es ihnen nicht nur an einem altersentsprechenden Wortschatz, sondern auch an der korrekten Grammatik. Ohne ausreichende Sprach- und Lesekompetenz, dem Schlüssel zum Wissen, sind ihre Chan- cen auf eine erfolgreiche Schul- karriere denkbar schlecht. Laut einer PISA-Studie von 2013 haben 14,5 Prozent der 15-Jährigen Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. 15,4 Prozent der Schüler und Schü- lerinnen der vierten Grund- Annemarie Wilke aus Schildow liest Kindern vor
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