Mühlenspiegel 2
20 Auf dem Rücken der Pferde durchs Mühlenbecker Land P ferde gehören seit eh und je zum Mühlenbecker Land. „Frü- her“, so berichtet Andreas Becker, der einen landwirtschaft- lichen Betrieb in der Breiten Straße in Schildow betreibt, „wurden auf jedem Hof hier im Dorf 2 bis 3 Pferde gehalten.“ Diese Zeiten sind zwar lange vorbei, aber auch heute noch ist das Geklapper der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster ein vertrautes Geräusch in Schildow. Als wir mit unseren Pferden die Straße ent- lang reiten, grüßen die wenigen Menschen, die wir an diesem trü- ben, regnerischen Novembermorgen in den Vorgärten antreffen. Der Anblick von Reitern ist Normalität im Mühlenbecker Land. Der wolkenverhangene Himmel beschert uns feinen Sprühre- gen. Das Wasser tropft auf die langen Mäntel, an den Stiefeln klebt Dreck. Wer kommt eigentlich auf die Idee, bei diesem Sauwetter auszureiten? Aber schließlich ist Regen nicht schädlich, Nebel tut nicht weh und die Pferde stört es ja auch nicht. Nach nur wenigen Metern endet das Kopfsteinpflaster und die Straße mündet in ei- nen Sandweg. Hier endet dann auch die Reise für den Autofahrer. Uns aber öffnet sich die Natur. Wir reiten durch eine leicht wellige, offene Landschaft. Gleichmäßiger, dichter Nebel hängt über den Wiesen und Feldern, zwischen Büschen und Bäumen. Der Weg führt vorbei an Pferdehöfen und Weideflächen, eine Weile geht es am Tegeler Fließ entlang. Schließlich erreichen wir den ehemaligen Grenzstreifen mit dem Naturschutzgebiet „Tegeler Fließtal und Eichwerder Moorwiesen“. Hier weisen uns ausgeschil- derte Reitwege den Weg. Direkt neben dem asphaltierten Rad- und Wanderweg schlän- gelt sich der Pfad für die Reiter durch die Dünenlandschaft, die inzwischen an vielen Stellen mit Birken und Kiefern bewachsen ist. Der Mauerstreifen ist ein Stück Natur direkt vor den Toren Ber- lins. Hier trifft man neben Reitern, auch viele Radler, Wanderer, Hundebesitzer und Familien. Das Gebiet bietet für jeden etwas, man kann laufen und verweilen, Drachen steigen lassen und Vö- gel beobachten. Heute Morgen aber, es mag am Wetter und an der Uhrzeit liegen, sind wir fast allein unterwegs. Nur gelegentlich be- gegnen wir einem Jogger oder einem Hundebesitzer. Unsere Rittführerin prüft die Lage und da der Weg gerade frei ist, gibt sie das Kommando: „Erst Trapp, dann Galopp.“ Darauf haben wir gewartet. Hufe donnern, Glückshormone schießen ins Blut. Die Pferde schnauben zufrieden. Dann werden wir langsamer und genießen das Novemberlicht. Endlich hat die Sonne die grau- en Regenwolken zur Seite geschoben und lässt das letzte Laub an den Büschen und Bäumen in intensiven orange, braun und gelb Tönen aufleuchten. Feuerrote Hagebutten glänzen an den Büschen und hier und da sticht ein Fliegenpilz als Farbtupfer hervor. Am Horizont zeichnet sich jetzt die Skyline Berlins ab. Rechteckige, mächtige Wohnblocks und Hochhäuser ragen trutzig aus der offe- nen Landschaft empor und über allem thront, weithin sichtbar, der Fernsehturm mit seiner silbernen Kugel. Wie in Zeitlupe, lautlos und winzig steigt dann und wann ein Flugzeug in den Himmel über Berlin. Über uns fliegt ein Schwarm Gänse hinweg und ihr Ruf begleitet uns noch eine Weile, bis das Konzert in der Ferne verstummt. Dann ist es still. Hier, an der Schnittstelle zwischen Millionenstadt und ländlichem Raum herrscht absolute Stille! Hier ist man mitten in der Natur und doch der Stadt so nah. Nach einer Weile biegen wir in einen Feldweg ein und lassen den Mauerstreifen hinter uns. Als sich vor uns ein weites Stoppel- feld auftut, ein Geschenk des Herbstes, schlägt das Reiterherz hö- her. Am anderen Ende suchen ein paar Kraniche nach Futter. Als wir uns nähern, erheben sie sich einer nach dem anderen majes- tätisch in die Lüfte und schweben mit lautem Gezeter davon. Wir nutzen die Gelegenheit zu einem ausgelassenen Galopp, bevor es zurückgeht ins Dorf. Das Glück dieser Erde glücksmomente
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